von

„Zwischen den Welten“ – Kommunikation in Zeiten des COVID-19


Kategorien Allgemein

Beobachtungen aus der Quarantäne zwischen Guatemala und Österreich

„Breaking News“

Ab dem 13. April 2020 darf der öffentliche Raum in Guatemala nur noch mit Mund- und Nasenmaske betreten werden. Diese und viele weitere Regeln wurden am (Oster-) Sonntagabend über den offiziellen Regierungskanal direkt vom Präsident Alejandro Giammattei verkündet. Noch erscheinen die Zahlen, der mit SARS-CoV-2 infizierten Personen mit aktuell 167 noch relativ niedrig, 19 Menschen gelten als geheilt und 5 Personen sind in Folge einer Erkrankung verstorben (Daten vom 11.4.2020, Ministerio de Salud Pública y Asistencia Social -MSPAS). Über die Anzahl an durchgeführten Tests gibt es unterschiedliche Angaben: Angeblich standen dem Gesundheitsministerium (MSPAS) bis vor kurzem nur 2.500 Tests zur Verfügung, Anfang April sind nach Regierungsangaben weitere 44.000 Testkits eingetroffen.

Sperren an Ortseingängen

Straßensperren an Ortseingängen

Am 13. März 2020 wurde der erste offizielle Fall in Guatemala gemeldet, zwei Tage davor war ich im Zuge eines ‚Borrow-A-TA‘ Einsatzes noch unterwegs um Fotos zu machen und Interviews durchzuführen. Das Coronavirus war schon in aller Munde, jedoch eher als eine kaum greifbare Bedrohung aus der Ferne. Dann ging es Schlag auf Schlag, schon 3 Tage nach dem ersten offiziellen Fall wurden die Grenzen und die Flughäfen für eingehende Flüge geschlossen, nur noch Personen mit guatemaltekischer Staatsbürgerschaft, gültigem Aufenthaltstitel oder diplomatischen Status durften einreisen.

Neue Maßnahmen, Verschärfungen oder Änderungen werden vom Präsident Giammattei meist persönlich verkündet, ausgestrahlt über sämtliche Kanäle und in Social Media, teilweise mit Gültigkeit ab dem nächsten Tag, so dass wenig Zeit bleibt, sich darauf vorzubereiten. Beispielsweise eine Ausgangssperre zwischen 16.00 und 04.00, Schließungen der Schulen und Universitäten, die Einstellung des öffentlichen Verkehrs, Verordnungen zum Home-Office bis Einschränkungen beim Einkaufen für über 60-Jährige.

Viele Ausländer_innen halten sich mit einem Tourist_innen Visum in Guatemala auf, teilweise seit Jahren indem sie kurz die Grenze überqueren. Diese Visa-Runs sind offensichtlich nun nicht mehr möglich, was zur Folge hatte, dass die Migración verkündete, einstweilen die Strafen für das Überschreiten der zulässigen Aufenthaltsdauer auszusetzen. Diese Maßnahmen betreffen nur legal eingereiste Migrant_innen, was mit den Migrant_innen die sich auf der Durchreise befanden (kurz vor der Corona-Krise hatten sich viele Menschen auf den Weg durch Guatemala Richtung Mexiko gemacht) oder in Guatemala aufgrund des Status eines ‚Sicheren Drittlandes‘ um Asyl angesucht hatten geschieht, ist unklar.

Es steht außer Frage, dass die vulnerabelsten Gruppen (nicht nur) in Guatemala am meisten von der Krise betroffen sind: sei es durch die Einschränkungen im öffentlichen Leben, aufgrund des schlecht ausgebauten Gesundheitssystems oder durch die Verbreitung des Virus selbst.

Kampagne

Kampagnen mit Notfallnummern

Tipps und Vorschriften wie Social Distancing und regelmäßiges Händewaschen klingen beinahe anmaßend, an Orten wo der Zugang zu fließendem Wasser nicht sichergestellt ist, wo mehr Unterernährung und Hunger drohen. #Stayathome kann für Frauen, die Gewalt in der Familie ausgesetzt sind, zum Todesurteil werden. Im Zuge der Ausweitung der Macht des Militärs und der Polizei ist ein Anstieg der Menschenrechtsverletzungen beinahe programmiert. Auf der Websited der Frontline Defenders werden Tipps für Menschenrechtsverteidiger_innen mehrsprachig zur Verfügung gestellt.

Einen fundierten und differenzierten Überblick über diese Themen können die Expert_innen in diesen Gebieten liefern, ich möchte deshalb ein paar Beobachtungen aus der Perspektive der Kommunikationswissenschaft teilen:

Denunziantentum

Kampagne gegen Misshandlung von Tourist_innen

Kampagne gegen Misshandlung von Tourist_innen

Im Jahr 2009 ist mir der Begriff des ‚Human Flesh Search‘ als ein Phänomen in China zum ersten Mal bekannt geworden. Dabei geht es darum, Personen online zu denunzieren, ihren vollen Namen, Adresse und die (vermeintlichen) Übertretungen zu melden. In einschlägigen Facebook Gruppen und Seiten in Guatemala, die sich zum Beispiel bisher mit Wetterphänomenen befasst haben, werden seit Beginn der Krise beinahe nur noch Veröffentlichungen über neue Fälle geteilt, oder Fotos über Märkte, wo der verordnete Abstand nicht eingehalten wird, die Kommentare darunter strotzen vor Unmut bis hin zu Hassnachrichten. Selbst in offiziellen Kanälen der Regierung wurden zu Beginn der Krise das Alter und oft auch der Wohnort von infizierten Personen veröffentlicht, was der Eindämmung dienen sollte, aber oft als Suche nach ‚Schuldigen‘ missverstanden schien. Menschen, die das Virus aus dem Ausland ‚eingeschleppt‘ haben, werden öffentlich verunglimpft, was auch dazu führte, dass eine Kampagne gestartet wurde, die Tourist_innen schützen sollte.

Digitalisierung als Chance

‚Teletrabajo‘ oder Home-Office wie wir es nennen, wird immer alltäglicher und viele Meetings, aber auch Schulungen können online durchgeführt werden. WhatsApp, Skype, Email und eine intensivere Verwendung von Wissensmanagement-Tools auf KNOWHOW3000 können dabei unterstützen. Mittels Werkzeugen wie Zoom kann der Bildschirm geteilt werden, aber auch mit Remote-Desktop-Zugriffen können technische Probleme auf anderen Computern behoben werden. In  diesem Artikel werden einige Werkzeuge auf Open Source Basis für unterschiedliche Anwendungsbereiche vorgestellt: Sichere und freie Software für Gruppenkommunikation

Andererseits können Workshops, bei denen der persönliche Austausch und das gemeinsame Entwickeln von Ideen sowie der kreative Prozess im Vordergrund stehen, wohl längere Zeit kaum realisiert werden. Wie sich Initiativen und Projekte im Bereich der Agroökologie weiter entwickeln und welche Unterstützung digitale Werkzeuge hier liefern könnten, wird sich zeigen. Die Einbindung und Erreichbarkeit von Zielgruppen, die online nicht vernetzt sind, wird vermutlich eine größere Herausforderung in den nächsten Monaten darstellen. 

Falschnachrichten

Auch in Guatemala wurden Hamsterkäufe getätigt

Ein Phänomen, das weder von Corona großartig beeinflusst wird, noch regional oder national eingegrenzt werden kann, ist die Verbreitung von Halbwissen, ‚alternativen Fakten‘ bis hin zu Verschwörungstheorien über sämtliche Kanäle. Wie viel Grad Celsius überlebt der Virus, erübrigt sich ein Test, wenn man 10 Sekunden die Luft anhalten kann, schadet Ibuprofen oder gibt es längst ein wirksames Medikament? Eine fundierte Medienpädagogik oder eine Wissenschaftskommunikation, die breitentauglich ist, scheint nicht richtig zu funktionieren. Welche Quellen vertrauenswürdig sind, welche Schritte man vornehmen kann, bevor man eine Nachricht weiterverbreitet und wie man am besten reagiert, wenn man Falschnachrichten erhält, sind Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind. In einem Artikel im Falter über ein mögliches Verbot von Fake News wird diskutiert, wer die Kategorien von wahr und falsch definieren darf. Wissenschaftliche Erkenntnisse können widerlegt werden, neue Daten können neue Erkenntnisse bringen und je simpler eine Lösung für ein komplexes Problem erscheint, umso mehr ist sie kritisch zu hinterfragen.

Dennoch möchte ich eine Liste von Plattformen, wo Quellen und Nachrichten (zum Thema Coronavirus) überprüft werden können, teilen:

….und einige Anleitungen, die man selbst befolgen könnte, bevor man eine Nachricht weiterleitet oder teilt, sowie Tipps zur Vermittlung von Medienkompetenz:

Fake News erkennen (IMZ), Medien und Bildung

Lernmodule Postfaktisches Zeitalter (Demokratiezentrum) (Achtung, Links zu Saferinternet.at sind veraltet, auf die Home Seite gehen)

Hilfestellung Internetrecherche (Openscience)

Englisch und spanischsprachige Äquivalente sind online ebenfalls zu finden, eine Erweiterung der Liste ist wünschenswert.

Wie geht es weiter?

Präsident Giammattei, ein Mediziner, hat sehr früh erkannt, dass die Gesundheitsinfrastruktur seines Landes einem massiven Ausbruch wohl nicht gewachsen sein wird.

Die daher zur Anwendung kommende Strategie einer radikalen Isolation wird Woche für Woche verschärft und wie ein ‚Exit-Szenario’ aussieht ist offen. Wie lange kann dieser Zustand aufrechterhalten werden? Bis es eine Impfung gibt? Und wenn dem so ist, wann wird der Impfstoff auch in Guatemala verfügbar sein?

Das unsichere Morgen und die vielen Faktoren, die wir kaum beeinflussen können (wir können selbst zuhause bleiben, doch es bringt wenig, sich über Menschen zu mokieren, die das nicht tun) führen zum gefühlten Kontrollverlust. Es hilft oder half anscheinend, sich mit Toilettenpapier einzudecken, doch sonst bleibt wenig aktiv zu tun gegen diese Unsicherheit. Ich wünsche uns allen Wachsamkeit, Resilienz und Solidarität und hoffe für mich, auf eine baldige Rückkehr nach Zentralamerika.

 

Mitgliedsorganisationen