„Wer trawig is muass langsam gehen“
Michaela Söllinger
Unter dieses Motto stellt Michaela ihren Einsatz. Michaela Söllinger ist ein noch ungewöhnlicher Neuzugang. Der erste so genannte Friedenseinsatz. Die gebürtige Oberösterreicherin ist seit November über den Österreichischen Versöhnungsbund mit HORIZONT3000 auf Einsatz. Sie arbeitet in Antioquia, einer Provinz in Kolumbien, als Begleiterin von MenschenrechtsverteidigerInnen mit indigenen und afrokolumbianischen Gemeinden, KleinbäuerInnen und entmilitarisierten Guerillagruppen an friedlichen und kollektiven Zukunftsmodellen. Wie es dazu kam, dass sie in der Friedensarbeit gelandet ist, erzählt sie uns im Interview.

Michaela, wie kommt es, dass du in Kolumbien bist?
Michaela: Es schlagen mindestens zwei Seelen in meiner Brust, die einen starken Einfluss darauf hatten. Zum einen bin ich sehr neugierig, was mich wohl zu den Naturwissenschaften und zur technischen Physik gebracht hat. Zum anderen konnte ich mich von klein auf furchtbar darüber aufregen, wenn jemand meines Erachtens nach ungerecht behandelt wurde bzw. wenn ich Chancenungleichheiten detektierte. So habe mich immer wieder bei unterschiedlichen Sozialprojekten im In- und Ausland engagiert. Die Neugier trieb mich wohl immer mehr dazu, die Wurzeln der Ungleichheiten zu suchen und nach Projekten Ausschau zu halten, die bei den Wurzeln ansetzen. Als ich schließlich mit der Guatemala-Solidarität als Menschenrechtsbeobachterin nach Guatemala ging, habe ich mir gedacht, das scheint mir sinnvoll, da kann ich mich so einbringen, dass es den Menschen vor Ort langfristig etwas bringt. Tja, und dann war da wieder die Neugier und der Wunsch mehr über Friedensarbeit zu lernen. So machte ich noch ein Masterstudium über Friedens- und Konfliktarbeit und fuhr das erste Mal nach Kolumbien. Das war jetzt die Miniversion meines Einstieges in die Friedensarbeit.
HORIZONT3000 und Friedensarbeit, das ist auch für uns ganz neu. Was sind deine ersten Eindrücke?
Michaela: Zuerst einmal bin ich glücklich, dass ich nun einen Zivilen Friedensdienst (ZFD) über eine österreichische Organisation machen kann. Mein Einsatz ist ein Pilotprojekt und ich hoffe, dass der ZFD, dessen Prüfung erstmals in einem Regierungsprogramm verankert ist, nun zügig umgesetzt wird und in Zukunft die Kosten für derartige Einsätze staatlich finanziert werden. Und zu HORIZONT3000: Ich bin wirklich beeindruckt wie professionell und herzlich es zugeht. Ich fühlte mich von Anfang an sehr willkommen. Es ist eine echte Zusammenarbeit, denn vieles war und ist für uns alle neu. Mir wurde mit dem Visa geholfen, Unterstützung bei der Reisebuchung, Versicherung etc. Die Abrechnungen waren bis jetzt auch recht unkompliziert und klar. Das ist sehr angenehm.
Was machst du in der Friedensarbeit?
Michaela: Das aktuelle Projekt ist Teil der internationalen Solidaritätsarbeit des Versőhnungsbund Österreichs (IFOR Austria), mit dem ich mich, wie es so schön auf der Webseite heißt und ich es einfach nicht besser sagen kann, aktiv gewaltfrei für einen gerechten und nachhaltigen Frieden einzusetzen versuche. In der Zusammenarbeit mit der lokalen Partnerorganisation in Kolumbien, FOR Peace Presence, heißt das, gewaltfrei die zu schützen, die ebenfalls aktiv gewaltfrei das Land, das Leben und deren Würde verteidigen. Es heißt auch Prozesse der Versöhnung und Verständigung im Sinne der Verwirklichung der Grundrechte und einen gesunden Lebensraum für alle zu unterstützen.
Meinen Teil zu dieser Friedensarbeit der Partnerorganisation und dem Versöhnungsbund Österreich sehe ich im Rahmen des aktuellen Projekts darin, in meiner Einsatzregion Antioquia, wo es einen aktiven bewaffneten Konflikt gibt, dazu beizutragen, konstruktive Beziehungen zwischen Menschen und deren Umwelt passieren zu lassen, bzw. zum Schutz bestehender beizutragen. Also, Begegnungs- und Aktionsräume zu schaffen und zu bewahren . Damit tragen wir dazu bei, dass lokal getragene, kollektive Friedensinitiativen, die ihre Lebensräume zu bewahren versuchen, existieren können. Ja, und dass sie trotz der Bedrohungen durch bewaffnete Gruppen und Megaprojekte, zum Beispiel international finanzierte Bergbau- oder Energieprojekte, ihr Recht auf Leben und einen gesunden Lebensraum einfordern können und gehört werden. Kolumbien gilt zur Zeit als eines der weltweit gefährlichsten Länder für Land- und UmweltrechtsaktivistInnen.
Was schließt das für Aktivitäten ein?
Michaela: Das inkludiert verschiedenste Aktivitäten. Von der reinen Anwesenheit als Beobachterin über Anwaltschaft für kollektive Landnutzungs- und Landschutzprojekte, über die Miterstellung von Fallstudien zu den Landrechts- und Umweltprozessen in Gemeinden (–> Empowerment), über die Visibilisierung der Prozesse, damit die Forderungen der Gemeinden gehört werden, bis zu Workshops über verschiedene gewaltfreie Schutzmaßnahmen für kollektive Prozesse in Konfliktgebieten weltweit, als Impulse für den Aufbau des sozialen Gefüges und für gewaltfreie, gemeinschaftlichen Schutzmaßnahmen. Noch konkreter heißt das, dass meine Kollegen und ich häufig viele Stunden im Bus, auf Mototaxis oder Maultieren sitzen um bei diesen Basisprozessen als BeobachterInnen und ZuhörerInnen anwesend sein zu können, damit Treffen und Besprechungen gewagt werden. Diesen Besuchen gehen Recherchen über die Konfliktursachen und verschiedene Interessensgruppen, Risikoanalysen und Vernetzungstreffen voran. Nach den Besuchen geht es dann, je nach Wunsch der Basisinitiativen und dem Erlebten, an die Visibilisierung der Prozesse. Treffen mit staatlichen oder auch diplomatischen Organen werden organisiert; manchmal werden auch spezielle Impulse für die Ermöglichung und Gestaltung konstruktiver Begegnungsräume oder Workshops über Menschenrechte bzw. das internationale humanitäre Recht mit dem FOR Peace Presence Team erarbeitet.
Was macht die Arbeit herausfordernd?
„Wer trawig is muass langsam gehen“ ist ein Sprichwort, das mir in verschiedensten Kulturkreisen untergekommen ist. Ich denke, das fällt mir manchmal schwer, aber ich halte es gleichzeitig sehr wichtig für die Art von Friedensarbeit, die ich zur Zeit mache. Jeder Besuch der Basisinitiativen braucht seine Vorbereitung und Nachbereitung, was auch heißt, dass man weit nicht allen Anfragen der Basisgemeinden – wir begleiten nur Gemeinden, die uns explizit dazu einladen – zusagen kann. Der Balanceakt zwischen Reaktionsarbeit auf Notfallsituationen, wie akute Bedrohungen gegen Menschen-, Land- und UmweltrechtsverteidigerInnen und dem Dranbleiben an langfristig Friedensinitiativen, die sich trotz oder gerade wegen dem sich derzeitig stark zuspitzenden bewaffneten Konflikt zu bilden versuchen, ist für uns als Team auch immer wieder eine große Herausforderung.
Als Friedensorganisation und Friedensfachkraft braucht es oft viel bewusstes Hinschauen auf das eigene Befinden, um sich nicht von den Strudeln einer konfliktiven, destruktiven Umgebung mitreißen zu lassen, sondern immer wieder bewusst die konstruktiven Seiten zu suchen.

Deine Glücksmomente bei der Arbeit?
Michaela: Kleine Schritte erscheinen mir oft riesengroß in einer Situation, wie wir sie derzeit haben, und in der der langersehnte Friedensvertrag von 2016 immer mehr in einer neuen Welle von Unterdrückung und Gewalt verschwinden zu scheint. Ein großer Erfolg ist: Afro-KolumbianerInnen, Indigene, Ex-Guerillas und KleinbäuerInnen sitzen an einem Tisch und sprechen miteinander und wollen einen Plan de Vida machen. Wenn es Kommunikation gibt, bewegt sich was. Es ist eine sehr sensible Arbeit.
Der Einsatz von Michaela Söllinger wird vom internationalen Versöhnungsbund durchgeführt und von HORIZONT3000 abgewickelt. Michaela Söllinger ist als Friedensfachkraft bei der Partnerorganisation FOR Peace Presence in Kolumbien.
Mehr über Michaelas Arbeit:
