von

Peter Ludescher und David Garcia im Doppelinterview


Kategorien interview

????????????????????????????

Peter Ludescher arbeitet als betriebswirtschaftlicher Berater in der Kakao-Genossenschaft UNCRISPROCA in La Cruz de Rio Grande (Nicaragua). Sein unmittelbarer Ansprechpartner und Kollege ist David Garcia, Geschäftsführer der Genossenschaft. UNCRISPROCA exportiert seit ca. sechs Jahren zertifizierten Bio-Kakao mit Fairtrade-Siegel nach Europa, aktuell zur GEPA nach Deutschland. GEPA produziert daraus Fairtrade-Schokolade erster Qualität.


Im Doppelinterview kommen unsere ProjektmitarbeiterInnen und deren Counterparts (lokaler Kollege in der Partnerorganisation) zu Wort.


Peter, du bist seit 25 Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit tätig. Was hat sich in der Personalentsendung deiner Meinung nach geändert?

Peter: Vor 25 Jahren stand bei den Cooperantes (so werden die EntwicklungshelferInnen bzw. Projektmitarbeiter hier genannt) das solidarische Mitarbeiten im Vordergrund. Oft genügten All-Round-Kenntnisse um seinen Platz in einem Projekt zu finden. Heute brauchen die Projektpartner ExpertInnen, die spezifische Problemlösungen anbieten. Die Profil-Anforderungen der Cooperantes ist einfach anspruchsvoller geworden.

Was geht dir alles durch den Kopf, wenn du in der Früh deine Augen öffnest?

Peter: Zuerst danke ich Gott für diesen neuen Tag. Weiters, dass ich gesund und motiviert genug bin, diesen neuen Tag mit Elan zu bewältigen. Eine gesunde Motivation frühmorgens ist unumgänglich, um die vielfältigen Aufgaben in der Arbeit zu bewältigen. Mich motiviert, dass es hier in Nicaragua Menschen gibt, denen ich mit meinen langjährigen Erfahrungen und meinem spezifischem Wissen beratend zur Seite stehen kann und sie diese Beratung auch annehmen. Wäre dies nicht der Fall, hätte meine Arbeit hier keinen Sinn, wäre nur ein Totschlagen wertvoller Zeit.

Nach den einzelnen Aufgaben, die ich für diesen Tag geplant habe, kommt mir auch öfters der Gedanke, dass ich in einer sehr „privilegierten“ Gegend arbeiten kann. „Privilegiert“ in dem Sinne, dass ich dort arbeiten kann, wo die Armut groß und damit viele Probleme ans „Eingemachte“ d.h. an die Existenz der Bevölkerung gehen. Das hilft mir auch, meine eigenen Probleme – die im Vergleich zu den einfachen Menschen hier keine wirklichen Probleme sind – zu relativieren.

Ein Beispiel: Oft beobachte ich, wie die Bauern in mühsamer Weise ihre Ernte einfahren, anschließend mit einfachsten Transportmitteln auf den lokalen Markt bringen und einen sehr bescheidenen Preis lösen, der sie wieder einen Tag mehr finanziell über die Runden bringt. Und das alles bei Staub und Hitze und tagtäglich, jahraus, jahrein … Ich würde das keine zwei Tage aushalten.

????????????????????????????

Du siehst also deinen Einsatz als Cooperante als „sinnvoll“ an?

Peter: Diese Frage kann ich für mich – ohne unbescheiden zu sein – mit Ja beantworten. Das muss aber nicht bei allen Projekten so sein. Es gibt Projektpartner die brauchen keinen Cooperanten, weil alle Themenbereiche mit lokalem Personal abgedeckt werden können. In meinem Themenbereich – betriebswirtschaftliche Beratung von Kleinbetrieben im ländlichen Sektor – gibt es jedoch eine hohe Nachfrage, weil es viele Betriebe auf dem Land gibt, die ein bestimmtes Produkt produzieren, weiterverarbeiten und vermarkten, aber meist ohne Berücksichtigung betriebswirtschaftlicher Kriterien wie die der „Rentabilität“. Das gefährdet das Wachstum und die Nachhaltigkeit des Betriebes. Die Entwicklungshilfe hat dieses Problem schon seit längerem erkannt. Daher werden in den von HORIZONT3000 unterstützten Projekten in diesem Bereich immer wieder Fachberater in Form von Cooperantes beigestellt. Ein absolutes Muss, meine ich, denn: Projekte im Erziehungs-/Gesundheits-/Sozialbereich können nicht in Konkurs gehen, Kleinbetriebe, die nicht rentabel sind, aber schon – da liegt eine spezielle Herausforderung für alle Beteiligten. Die Kakao-Genossenschaft UNCRISPROCA ist da keine Ausnahme.

Wo liegen – kurz zusammengefasst – deine Aufgabenschwerpunkte als Berater?

Peter: Neben der bereits oben angesprochenen „Rentabilität“ geht es auch darum, das „Unternehmerische Denken“ zu vermitteln. Als Unternehmer zu denken bedeutet alle Komponenten eines Kleinbetriebes zu kontrollieren und ständig zu verbessern. Beispiel: Die Qualitaetskriterien müssen eingehalten und ständig verbessert werden, damit die Abnehmer mit dem Produkt zufrieden sind und damit immer wieder bei diesem Betrieb kaufen. Klingt einfach, ist es aber nicht: viele Bauern sind ausgezeichnete Produzenten auf dem Feld. Aber sobald es darum geht, als Kleinunternehmer zu agieren, sind sie oft ueberfordert, weil sie bestimmte Unternehmenskriteterien (wie die der Rentabiliaet und Qualitätssicherung) das erste Mal zu Ohren bekommen. Ein ausgezeichnetes Hilfsmittel, um den Bauern diese Zusammenhänge zeigen zu können, ist das von mir immer wieder benutzte Konzept der sogenannten Wertschöpfungskette. Da sehen sie, dass sie mit ihrem Kleinbetrieb Teil einer Kette sind und die Kette nur dann erfolgreich bestehen kann, wenn sie als einzelnes Kettenglied (Weiterverarbeitung) ihren positiven Beitrag leisten.

Fuer mich immer wieder fasznierend: Es gibt unter den Bauern vereinzelt „Naturtalente“ die genau das tun, was ich oben geschildert habe, jedoch ohne irgend eine Ausbildung bekommen zu haben. Denen wurde offensichtlich das Verhalten eines erfolgreichen Geschäftsmannes bereits in die Wiege gelegt (lacht).

????????????????????????????

David, Peter spricht von der speziellen Herausforderung für Kleinbetriebe, rentabel zu arbeiten. Wie siehst du das?

David: Genau so! Kleinbetriebe auf dem Land sind sehr oft die Motoren für Entwicklung, weil die lokale Wortschöpfung gefördert und Arbeitsplätze geschaffen werden. Auch die Genossenschaft UNCRISPROCA ist ein solcher Motor. Durch den Aufkauf von Kakao der Produzenten und den Export nach Europa hat sich in vielen Fällen der Lebensstandard der Produzentenfamilie entscheidend verbessert. Um aber von einem absoluten Erfolg zu sprechen, muss auch die Rentabilität der Genossenschaft stimmen. Darin liegt die zentrale Herausforderung für die kommenden Jahre.

Wie siehst du die Zusammenarbeit mit HORIZONT3000?

David: Die Zusammenarbeit mit HORIZONT3000 macht es uns möglich, einen Wirtschaftsimpuls in einer geografisch sehr abgelegenen Zone – wie die unsere – zu setzen. Wir haben hier einen erstklassigen Kakao, aber was uns fehlt, ist das Geld, um den Kakao „an den Mann zu bringen“, sprich nach Europa zu exportieren. Peter – der betriebswirtschaftliche Themen abdeckt – bildet zusammen mit mir und weiteren Fachkräften von UNCRISPROCA ein Team, das auf Augenhöhe arbeitet. Ich bin froh darüber, dass es so ist. Hätten wir einen Cooperante, der sich noch in den Lehrlingsjahren befindet, wäre dies eher eine Belastung für uns. Aber Gott sei Dank hat HORIZONT3000 entsprechende Vorkehrungen getroffen, um den für uns optimalsten Cooperante zu bekommen. So können wir einen Cooperante auch ablehnen, wenn wir glauben, dass sein Lebenslauf nicht unbedingt für die zu bewältigenden Aufgaben geeignet ist.

Ich war ehrlich gesagt anfangs, als wir vor ca. sieben Jahren den ersten Cooperante bekommen habe, eher misstrauisch. Es ist ja so, dass der Cooperante nicht nur Berater ist, sondern auch Eindrücke vom Projekt an die Projektverantwortlichen von HORIZONT3000 weitergibt. Wenn die Weitergabe dieser Eindrücke der Realität entspricht, ist das o.k. so. Aber oft ist der Cooperante geneigt, seine subjektive Note hineinzubringen, um seine Loyalität gegenüber HORIZONT3000 zu demonstrieren. Das kann für uns auch zum Nachteil sein.

HORIZONT3000 mischt sich auch ab und zu in das Projektgeschehen ein. Ist das eine Belastung für dich?

David: Manchmal werden von den Verantwortlichen von HORIZONT3000 Dinge und Geschehnisse im Projekt hinterfragt. Das kann im jeweiligen Moment unangenehm sein, aber letztlich ist es notwendig und gerechtfertigt. Der, der finanziert, will ja nur, dass das Geld optimal eingesetzt wird und die jeweiligen Ziele erreicht werden. Hinterfragen kann auch ein Augen-Öffnen provozieren. Denn oft erst durch eine bestimmte Frage bin ich gezwungen, darüber nachzudenken, warum was nicht optimal gelaufen ist. Ich meine: jeder konstruktive Diskussionsprozess ist dem Projekt förderlich.

????????????????????????????

Frustrierende Momente?

David: Gibt’s immer wieder. Sind aber selten. Eher Momente der eigenen Unzufriedenheit. Das ist dann der Fall, wenn mir die anstehenden Arbeiten über den Kopf wachsen. Ich als Geschäftsführer der Genossenschaft bin mit verschiedenen Aufgaben konfrontiert und oft konzentriert sich alles in meiner Person, weil ich eben der Chef bin. Delegieren wäre die Lösung, aber Delegieren ist schwierig, da es hier diesbezüglich keine Kultur gibt. Die Mitarbeiter sind eher empfangende Mitarbeiter, denen es oft an der Kreativität fehlt, selbst und in Eigenregie die Arbeiten zu definieren.

Und wenn’s dann zu Problemen kommt, bin ich derjenige, der Verantwortung tragen muss. Das ist wie der Manager beim Baseball-Team: obwohl die Spieler schlecht spielen und das Spiel verlieren, trägt der Manager die Schuld für die Situation, obwohl er ja gar nicht auf dem Spielfeld war und wird gefeuert. Aber bei mir ist es Gott sei Dank noch nicht dazu gekommen (lacht).

Wenn wir schon von frustrierenden Momenten reden: Jedes Jahr kommt ein Fair-Trade-Vertreter (FLO) zu uns um die Einhaltung der Zertifizierungs-Kriterien zu begutachten. Nach dem Besuch kommen die Daten dann nach Costa-Rica zur FLO-Zentrale. Wenn dann die eine oder andere Information nachgefordert wird, ist es unheimlich schwierig, diese zeitgerecht nachzureichen, weil das Kommunikationssystem bei uns in der Zone äußerst mangelhaft ist. Internet-Verbindungen brechen immer wieder zusammen, zum Telefonieren muss ich mit einer Strickleiter auf einen Baum steigen … Leider nehmen die FLO-Zertifizierer auf diese widrigen Umstände keine Rücksicht. Auf der anderen Seite sind wir gezwungen alle Anforderungen vollständig und zeitgerecht zu erfüllen, denn bestimmte Aufkäufer in Europa kaufen nur, wenn die Fair-Trade-Zertifizierung erfüllt wurde. Eine permanente Herausforderung für uns! Manchmal hab ich das Gefühl, die Fair-Trade-Kriterien wurden für die großen Betriebe definiert. Wir Kleinen in einer geografisch benachteiligten Zone sind mit diesen Kriterien zum Teil echt überfordert.

Glückliche Momente?

David: Wenn die Ernte gut und die Kakao-Erträge hoch sind. Oder wenn wieder ein Container in Managua fertig für den Export nach Europa steht. Das ist ein absolutes High-Light! Nur wer mal bei uns auf Besuch war, kann sich ein Bild davon machen, mit welchen Mühen so ein Container zustande kommt.

Glück empfinde ich auch, wenn ich sehe, dass die Produzenten durch den Kakao ihre Lebenssituation verbessern. Wenn der eine oder andere einen kleinen Bootsmotor kaufen kann, um seine Kinder zur Schule oder zum Arzt bringen zu können. Hier ist ja alles nur per Boot erreichbar. Autos gibt es keine. Oder wenn sich ein Produzent ein Sonnen-Panel aufs Dach installieren kann, um abends Licht im Haus zu haben. Oder wenn der Produzent Geld hat, um für seine Kinder Schulmaterial zu kaufen. Das Alles ist für mich motivierend, trotz täglicher Herausforderungen weiterzumachen und dem Kakao als Motor für die wirtschaftliche Entwicklung in der Region meine Treue zu halten.

Ich hab Peter gefragt, was ihm so morgens nach dem Aufwachen durch den Kopf geht – diese Frage gebe ich auch an dich weiter …

 David: Ja, ich kenne die Antwort von Peter. Auch ich danke Gott als erstes gleich in der Früh für diesen neuen Tag. Aber im Gegensatz zu ihm mach ich die Arbeits-Planung für den nächsten Tag, wenn ich abends unter der Dusche stehe und mir zwei Kübel Wasser über den Kopf schütte – dann kommen mir nämlich die besten, weil frischesten Ideen (lacht).

Mitgliedsorganisationen