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Von den Grauen des Krieges und der Hilfe in Moldau


Kategorien Allgemein, vor ort

Von Irene Rohringer, Fachkraft in Moldau, 10. März 2022

24. Februar 2022 – dieser Tag wird in die Geschichtsbücher der Ukraine eingehen. Der Tag, an dem die Einwohner:innen mit russischen Bomben und Raketen aus dem Schlaf gerissen wurden. Niemand hatte erwartet, dass sich dieser Konflikt so verfestigen und in einen Krieg ausarten würde, der Tod und Zerstörung über ein ganzes Land bringt.

Schon am ersten Abend, ehe noch die staatliche Hilfe organisiert war, erwarteten freiwillige Helfer:innen an den moldauischen Grenzen Flüchtlinge aus dem Nachbarland. Frauen und Kinder, oft nicht nur die eigenen, sondern auch die von Nachbarn oder von Eltern, die bei den Angriffen getötet wurden; selten Männer – die müssen oder / und wollen zur Verteidigung ihres Landes zurückbleiben.

Grenzübergang Palanca

Die Republik Moldau hat offiziell ca. 3,5 Mio. Einwohner:innen, von denen man noch einmal ca. ¼ abrechnen kann, weil sie im Ausland arbeiten. Bis zum 7. März hat das Land ca. 250.000 Flüchtlingen geholfen. Viele reisen sofort oder nach einigen Tagen zu ihren Verwandten oder Freunden in Deutschland, Spanien, Italien etc. weiter, doch 100.000 sind bis jetzt im Land und warten ab, entweder eine noch ungewisse Weiterreise oder eine Rückkehr nach Hause.

Sich vom gängigen Bild, wie ein Flüchtling auszuschauen hat, muss man sich verabschieden. Denn es kommen nicht in erster Linie solche, die schon alles verloren haben und buchstäblich nur mehr mit dem davonkamen, was sie am Leibe trugen; man flüchtet, BEVOR es einen trifft, mit dem Allernötigsten im Koffer und – soweit vorhanden, Geld in der Brieftasche. Dass die Unterkünfte bei den moldauischen Nachbar:innen vor allem am Land nicht den Lebensgewohnheiten der aus den Städten geflohenen Ukrainer:innen gerecht werden, trägt da und dort zu Missverständnissen bei.

Flüchtlinge und Freiwillige

Der Staat hat in 78 Zentren ca. 6000 Plätze, die Hotels in der Hauptstadt Chisinau sind voll mit den betuchteren Geflüchteten, doch das sind auch nicht so viele. (Für die Hotels allerdings nach zwei Jahren „Pandemie“ wie ein warmer Frühlingsregen). Wo sind die anderen ca. 90.000?

Egal in welche Orte wir letzte Woche mit unserem „normalen“ Dienst für Familien in Not auch kamen – in allen Gemeinden erzählte man uns vom Einsatz für die Flüchtlinge, die entweder in leerstehenden Häusern (derer es leider, leider genug gibt wegen der Landflucht) oder in gemeindeeigenen Gebäuden untergebracht sind.

Einen großen Anteil an der Flüchtlingshilfe haben die zahlreichen Hilfsorganisationen im Land. So auch meine Partnerorganisation „Fundatia Optima Fide“:

  1. Man richtete eine Flüchtlings-Hotline ein, über die alle nötigen Informationen zu Unterkünften, Transportmöglichkeiten, Dokumentenbeschaffung erfragt werden können, es ist gleichzeitig „Internet-Cafe“ für diejenigen, die selber Erkundigungen einholen wollen. Mitarbeiter:innen begleiten die Ortsunkundigen zu Ämtern, Bahnhöfen, Bank usw. Hier wird außerdem die Aufteilung ankommender Flüchtlinge koordiniert. Denn es gibt zwei, nötigenfalls auch drei, Einrichtungen zur Unterbringung:
  2. eine Sozial-Wohnung, die jetzt auch Flüchtlinge beherbergt, und
  3. ein Rehabilitationszentrum für Drogen- und Alkoholabhängige, deren momentane Bewohner:innen nun eine besondere Aufgabe haben, an die sie ihr Lebtag vorher wohl nicht gedacht hätten … Flüchtlinge, die länger bleiben wollen, werden – auf ihren eigenen Wunsch – ihrerseits tätig für die neu eintreffenden Landsleute. Insgesamt kann Optima Fide etwa 50 Plätze zur Verfügung stellen; das alles ohne noch neues Personal aufzunehmen. – Eine große Erleichterung in der wichtigen Arbeit ist, dass es fast keine Sprachprobleme gibt: Die Moldauer:innen sprechen zum Großteil (noch) sowohl Rumänisch als auch Russisch; selten, dass ein:e Ukrainer:in daran Anstoß nimmt, hier in Russisch begrüßt zu werden, sie wissen, dass das die einzige gemeinsame Sprache ist, die in beiden Ländern verwendet wird.

Sehr genau führen die Kolleg:innen Buch über alle Ankommenden bzw. Durchreisenden – für den Fall, dass jemand nach ihnen suchen sollte, gäbe es hier bei uns eine Spur. In Anbetracht der hohen Zahlen fasste die Regierung den Beschluss, dass Flüchtlinge, die an der moldauischen Grenze ankommen und bereits wissen, wohin sie weiter wollen, direkt in eigens bereitgestellten Transporten zum entsprechenden Ausreise-Punikt gebracht werden.

Flüchtlinge Kinderbetreuung

Die Beschäftigung 24/7 birgt Erschöpfungspotenzial für Angestellte und Voluntär:innen – doch gleichzeitig lenkt sie von der nicht unberechtigten Angst davor ab, dass es der Republik Moldau ähnlich ergehen könnte wie dem Nachbarland. Die Einschläge, die aus der Region Odessa bis nach Chisinau zu hören waren, tragen Ihriges zur Atmosphäre bei. Schon dachten die männlichen Kollegen daran, ihre Frauen und Kinder außer Landes zu bringen, planten Transport und Unterbringung für sie, um hier „ruhig“ zur Verteidigung bereit zu sein. Wobei es kein Staatsgeheimnis sein dürfte, dass dazu nur wenig Material zur Verfügung steht …

Man weiß eigentlich nicht, wovor man sich mehr fürchten soll, vor der möglichen Auseinandersetzung mit der Großmacht fast vor der Haustür oder vor den Folgen der raketenhaft steigenden Preise, vor allem bei Energie und Lebensmitteln. Alle paar Tage einmal ist man im Schockzustand, wenn es heißt, der Treibstoff würde wieder um fast 10 % steigen, und es ist kein Salz in den Regalen mehr etc. Wir spüren bereits den unterbrochenen Handelsweg Schwarzes Meer – Ukraine – Moldau, z. B. finden wir keine halbautomatischen Waschmaschinen mehr, die Familien das Wäschewaschen erleichtern, auch wenn sie kein Fließwasser im Haus haben.

Abladen Vorarlberg-Hilfe

Fast jede:r Moldauer:in hat Verwandte oder Freunde in Russland, Moldauer:innen, die dort Arbeit fanden und ansässig wurden. Von ihnen erfahren sie, dass die offiziellen Nachrichten kaum etwas vom „Krieg“ berichten – es ist nur „Spezial-Operation im Donbass“, erklärt man ihnen. Die hiesigen Moldauer:innen erzählen ihnen, was wirklich los ist, zumindest können sie das weitergeben, was sie von den Flüchtlingen wissen.

Eine Kollegin meinte: „Weißt du, ich verstehe ja, dass viele jetzt schlecht über `die Russen` reden – aber das ist gar nicht gut, damit nährt man ja die ´böse Energie´, die zum Krieg treibt.“ – Ich glaube, sie hat recht … Das Böse ist bös, das Gute ist gut, aber Menschen wegen eines gemeinsamen „Charakteristikums“ allgemein abzuurteilen, geht meistens nicht gut aus.

Wir hoffen und beten und nützen die Fastenzeit, damit die Region und die Welt zum Frieden findet.


Originalberichte von Geflüchteten

Larisa Wasiljewa:

Vielen Dank an das Rehabilitationszentrum „Optima Fide“!

Alles begann gegen 6 Uhr in der Früh am 24. Februar, als ich durch einen Anruf meiner Tochter geweckt wurde. Sie war in einem Zug von Kyjiw nach Mykolajiw: Mama, ist bei euch alles in Ordnung? Ihr werdet bombardiert!

Ich habe eine große Familie: Außer meiner Tochter gehören dazu mein Mann, mein Sohn, der am Tag zuvor geheiratet hat, mein Bruder, der eigene Familie hat, sowie Eltern meines Mannes. Niemand glaubte, dass sich die Schlinge rund um die Stadt nach und nach enger ziehen wird, ähnlich wie ein italienischer Stiefel … mein Mann hat mit besonderem Nachdruck nach einer Möglichkeit gesucht, uns zu retten …

Danke an Ruslan und Jaroslaw – Autofahrer, die drei Tage durchgehend auf den Beinen waren, um Menschen aus der Stadt zu bringen. Danke an die Freiwilligen, die uns geholfen haben, nach Chisinau zu gelangen. Danke an die hilfsbereiten Pfarrer, die uns mit ihrer Ruhe und ihrem Lächeln, ihrem Verständnis und ihrer Fürsorge geholfen haben, wieder ins Leben zurückzufinden, neue Realität zu akzeptieren sowie eine schwere Entscheidung zu treffen.

Dank Ihnen weiß ich nun, was ich tun werde, wenn ich nach einem neuen Ort gelangen werde: Ich werde auch mit Flüchtlingen arbeiten, ich werde versuchen, mich nützlich zu machen und werde für Sie und für meine Familie beten.

Elena Kozowjakina:

Vielen Dank an das Rehabilitationszentrum „Optima Fide“! Und vor allem an die hilfsbereiten und gutherzigen Pfarrer!

Wir – eine Familie aus Odessa – waren in einem Albtraum. Unsere Städte werden aus der Luft bombardiert, Odessa auch vom Meer aus. Ich war allein mit meinen Kindern in der Stadt. Die tägliche, panische Angst um die Kinder machte es für mich unmöglich, zu leben und zu atmen. Ich war gezwungen, eine sehr schwere Entscheidung zu treffen: Ich musste aus Odessa fliehen und meine Mutter zurücklassen. Ein wildes Schamgefühl, Schmerz und Angst. Aber Kinder vor dem Krieg zu retten, ist weitaus wichtiger, als sich dafür zu schämen, dass man sein Zuhause verlassen hat. Das war eine harte Herausforderung, aus der Ukraine auszureisen. Aber als wir in Chisinau ankamen, wurden wir mit viel Freundlichkeit und Verständnis empfangen.

Vielen vielen Dank, liebe Bewohner:innen von Chisinau. Sie sind die besten Nachbarn, die Odessa hat!

Lera aus Mykolajiw:

Unsere Flucht vom Krieg in der Heimat war von einer Reihe von unvorstellbaren Zufällen geprägt. Ich kann es nicht begreifen, wie das alles an einem Tag passieren konnte. Aber ich kann ganz sicher feststellen: Wenn man wirklich braucht, dass etwas Gutes passiert, dann muss man einer Phantomhoffnung nachjagen, und dann wird sie sich als wahr erweisen. Ich spreche hier von der Suche in einer fremden Stadt, in einem fremden Land. Von der Suche nach einer Möglichkeit, weiterzufahren, zu einem Rückzugsort, zu unseren Bekannten, die uns vor Gefahren schützen werden. Unser Weg begann mitten in der Nacht um 00:44, als ich und meine Mutter aus dem Auto ausgestiegen und über die Grenze gegangen sind. Jaroslaw, der Fahrer, der uns zu Palanca (das östlichste Dorf der Republik Moldau, das an der Grenze zur Ukraine liegt) gefahren hat, ist ein Held und rettet immer noch getrennte Familien.

Nach dem Grenzübergang brachten Freiwillige sofort drei Personen nach Chisinau, darunter auch wir. Wir erreichten Chisinau und mussten feststellen, dass wir nirgendwo nächtigen konnten, denn sowohl die Busstationen als auch Bahnhof waren geschlossen. Wir saßen auf der Straße. Eine Gelegenheit zum Reden. Unser Mitreisende gab uns hilfreiche Hinweise. Auf seinen Rat hin liefen wir nach einer schlaflosen Nacht mit unseren Schweren Taschen durch die Stadt. Wechselstube, ukrainische Botschaft, Stadtamt, Einwanderungsbehörde, tschechische Botschaft (die wir nie gefunden haben). Das war eine Aufeinanderfolge von Missgeschicken. Aber wir trafen Michail, der bereit war, alles für uns zu tun, nachdem er merkte, dass wir Flüchtlinge sind. Und dann trafen wir Nikolaj, einen gutmütigen Mann, der selber auf uns zukam und uns die Kontakte eines Reisebüros vermittelte. Tatjana, eine Mitarbeiterin von Natuli, suchte kostenlos nach einer passenden Verbindung für uns. Und es gelang ihr. Wir wollten den Ort erkunden, von dem unser Bus morgen abfahren wird, als wir eine Anzeige von Optima Fide entdeckten und hielten kurz an, um zu fragen, ob Sie uns eine Unterkunft für die Nacht bieten könnten. Ja! Die freiwilligen von Optima Fide waren genauso besorgt wie Michail und Nikolaj – eine freigiebige Hilfsbereitschaft. Das ist das Beste, was den Flüchtlingen passieren kann.

Dank der MitarbeiterInnen von Optima Fide können wir uns heute nacht ausschlafen. Ich erschaudere, wenn die Tür knallt oder wenn die Waschmaschine rumpelt. Wenn ich eine Sekunde an meine Verwandten denke, die in der Ukraine zurückgeblieben sind, breche ich in Tränen aus. Dieser Tag in Moldawien ist noch nicht vorbei, und ich schluchze alle 10 Minuten. Alles, was mir und meiner Mutter innerhalb von 24 Stunden passiert ist, verdanke ich gutherzigen Menschen – Moldauer! Ich danke Ihnen allen!


Spendenmöglichkeit

Optima Fide Foundation
Nr. registration number 6851
Address: min. Chișinău, str. M.Dosoftei, 100 ap.75
IDNO : 1014620007164
Director: Reveneala Ion

Bank dates:

Fundatia “Optima Fide”
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Address: Republic of Moldova, Chisinau City, M.Dosoftei street, no. 100 ap.75
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