Manfred Bienert kommt aus Bad Karlshafen an der Weser („aus dem Herzen Deutschlands“, wie er selbst sagt). Er ist Agraringenieur für tropische und subtropische Landwirtschaft. In diesem Bereich arbeitet er bereits seit mehr als 20 Jahren in Bolivien und Nicaragua vor allem mit kleinbäuerlichen Familien und ihren Organisationen. Er war 3 Jahre für HORIZONT3000 im Einsatz und ist seit kurzem zurück.
Du bist seit kurzem zurück. Hattest du nach deiner Rückkehr einen Kulturschock?
Manfred: Von einem Kulturschock zu sprechen wäre übertrieben. Da es in Nicaragua praktisch keinerlei Coronaschutzmaßnahmen gibt, war ich von dem Ausmaß der verordneten Beschränkungen in Deutschland doch überrascht, obwohl ich vorher einiges darüber gelesen hatte. Ich halte mich derzeit in Göttingen auf, einer StudentInnenstadt, und das gesamte öffentliche Leben ist paralysiert: keine Kneipen, die meisten Geschäfte geschlossen und null Kulturangebote. Das hat schon etwas Gespenstisches. Der Umgang zwischen und mit unseren FreundInnen ist behutsamer geworden.
Da unsere Tochter aktuell mit erheblichen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat, stellen wir fest, welche Einschnitte es in den letzten Jahren im Gesundheitswesen gegeben hat und wie die Bürokratie für PatientInnen ausgeufert ist.
Du warst gut 3 Jahre im Einsatz. War es so, wie du dir die Sache davor vorgestellt hast?
Manfred: Wir lebten bereits seit 2005 mit einer kurzen Unterbrechung in Nicaragua. Daher wusste ich bereits, wie der Hase im Land läuft und kannte einen Teil meiner Partnerorganisationen. Die Arbeit mit den Organisationen gestaltete sich in etwa so, wie ich es mir vorstellte.
Covid-19 schlug sich ebenfalls in der Projektarbeit nieder, die teilweise eingeschränkt werden musste.
Was bleibt von deiner Arbeit vor Ort übrig? Persönliches Resümee?
Manfred: Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Ich hoffe, dass besonders im Bereich der Methodik etwas geblieben ist: Wie gehe ich an Problemstellungen heran? Wie gestalte ich die Arbeit mit den Zielgruppen partizipativ? In einer der Partnerorganisationen wurde es Konsens, dass der Bauernhof oder die Produktionseinheit als Gesamtes gesehen werden muss, also Agroökosystem.
Es war sehr schön, dass sich mit dem TechnikerInnenteam eine gleichberechtigte Zusammenarbeit entwickelte und sich keine Einbahnstraße Berater – Beratene etablierte. Jede und jeder brachte seine Kentnisse und Fähigkeiten ein, die dann in der Regel zu Lösungen führten.
Deine größten Herausforderungen, Hindernisse, Probleme?
Manfred: Die größten Probleme lagen außerhalb der Projekte und Partnerorganisationen. Ich schnitt das schon weiter oben an (politische Situation, Pandemie). Ich finde es gut, als Fachkraft mehrere Partnerorganisatonen zu begleiten, aber HORIZONT3000 müsste dann jedoch in der Lage sein, die finanzielle Ausstattung ausreichend zu gewährleisten, besonders was Reise- und Unterkunftskosten angeht.
Das Potenzial der Informationstechnologien und der Computernutzung wird bei weitem nicht ausgeschöpft und stellt einen begrenzenden Faktor dar.
Was hat dich am meisten persönlich bewegt, geprägt oder verändert?
Manfred: Ich habe seit 1995 mit einer Reihe von Entsendeorganisationen und noch mehr Partnerorganisationen zusammengearbeitet. Gender war immer eine Querschnittsaufgabe. Es war für mich beeindruckend, wie die Partnerorganisation Fundación Entre Mujeres eine große Anzahl von Bäuerinnen, alte und junge, empowert hat. Es ist beeindruckend mit welchem Selbstbewusstsein und welcher Selbstverständlichkeit sie agieren. Ich erinnere mich, wie bei einem meiner ersten Dorfbesuche eine betagte Bäuerin zu einer Gruppe jugendlicher Mädchen über sexuelle Gewalt sprach und darüber, dass sie ein Recht auf befriedigende Sexualität hätten. Dafür war jahrelange, konstante Arbeit erforderlich. Wenn wir wirkliche, tiefgreifende Veränderungen begleiten möchten, dürfen wir nicht in den kurzen Laufzeiten von Projekten denken, sondern langfristig. Änderungen brauchen Zeit.
Was machst du als nächstes?
Manfred: „Hinterm Horizont geht´s weiter“, sang schon vor vielen Jahren Udo Lindenberg. So ist es auch bei mir. Im Februar begann ich, mich in einem Projekt zum Schutz hochandiner Ökosysteme in Ecuador zu engagieren, das seitens der GIZ unterstützt wird.
Was gibst du neuen Ausreisenden als Ratschlag mit auf den Weg?
Manfred: Geht gelassen an eure Aufgabenstellungen heran. Spielt nicht die oder den AlleswisserIn. Beratung ist keine Einbahnstraße, sondern heißt, gemeinsam Lösungen zu finden. Erst schauen und hören, dann selber den Mund aufmachen.
Danke für das Interview. Alles Gute!